“Ihr fangt schon wieder genauso an, wie die schlechtesten HR-Manager, die es überhaupt gibt” – einer der ersten Sätze, die wir von Regina als Reaktion auf die Frage nach ihrem Werdegang hören. Zugegeben, das ist Standard. Und Regina Roos ist definitiv kein Standard. Reginas Blick ist immer zuerst nach vorne gerichtet, daher erklärt sie uns: “Meine Vergangenheit könnt Ihr nachlesen. Fragt lieber: Was ist meine Vision? Das ist doch viel interessanter.” Dennoch gibt sie uns einen kurzen Blick nach hinten. Vor 15 Jahren stiftete Regina eine Ampel. Sie trat aus der Kirche aus, weil sie nicht wusste, ob die Steuergelder dort landen, wo tatsächlich Hilfe benötigt wird. Sie hingegen wusste es und hat mit ihrem gesparten Geld eine Ampel an einer gefährlichen Straße bauen lassen. Auf der linken Seite ist eine Behindertenwerkstatt, auf der rechten ein Kindergarten. Heute ist man ihr dankbar dafür. Wieder einmal wird klar: Diese Frau ist kein Standard.
Regina ist während unseres Telefonats auf der MWC (Mobile World Congress) in Barcelona – die größte internationale Mobilfunk-Messe der Welt. Am nächsten Abend geht es zurück nach Berlin. „Es gibt eigentlich keinen Abend, an dem ich nichts vorhabe oder unterwegs bin“. Durch ihren Job und das Ehrenamt bei WirHelfen bleibt wenig Luft zum Durchatmen. Was macht man also, wenn man eine Auszeit braucht, wie jeder normale Mensch? Für Regina bedeutet auch Abschalten, etwas Spannendes zu tun – aber eben in die andere Richtung. Um runterzukommen, geht Regina gern mit ihrem Hund in die Natur, Skifahren und macht viel Sport – auch da ist der Hund dabei und schwimmt mit ihr durch den Fluss.
Was steckt dahinter, hinter dieser Hilfe, der Energie, die in die Projekte reingesteckt wird?
„Ich helfe, weil ich was bewegen kann“, sagt Regina selbst. Und man weiß nie, ob diese Bewegung wie der “Snowball-Effekt” noch mehr Gutes ins Rollen bringt. “Wenn man still steht, wird sich die Welt um einen selbst bewegen.“ In diesem Fall kann man nicht von Politiker:innen erwarten, dass alles gesehen wird und sie immer korrekt handeln. Wer macht dann auf Missstände aufmerksam? Politiker:innen geben die Richtung vor, den Impuls und schaffen im Idealfall Inspiration. Doch die Umsetzung muss durch Menschen erfolgen. Jeder kann dazu beitragen, die Dinge um sich herum ein kleines bisschen besser zu machen. Regina sieht sich selbst in der Aufgabe, als Role Model mit dem Ziel voranzugehen, andere zu inspirieren, sodass sie sagen “JA, da mache ich mit!”. Wir merken also, Helfen ist wertvoll, aber nicht selbstverständlich. Es muss kein Ehrenamt sein, es kann genauso gut die Hilfe gegenüber einem Rollstuhlfahrer sein, dem man im Bus die Rampe runter klappt oder Freunden und Bekannten das Werkzeug ausborgen.
Also fragen wir die Expertin: Wie kann man helfen? Wo liegt möglicherweise ein Problem?
“Hilfe kann etwas ganz Einfaches sein”, erklärt Regina, der erste Schritt ist Achtsamkeit. “Beim Nachbarn anfangen, einfach fragen” ist ein guter Anfang. Das ist gar nicht schwierig und doch ist der Effekt eines kleinen Schrittes bereits monumental. Regina berichtet uns, dass eines der großen Probleme in unserer Gesellschaft nicht das Helfen selbst ist, sondern das Gegenstück dessen – nach Hilfe fragen. Der Mut, sich eigene Probleme einzugestehen, Bedürfnisse zu artikulieren und schließlich um Hilfe zu bitten. Indem wir Leute ehrlich fragen, wie man ihnen helfen kann, nimmt man die erste Hürde, auf andere zugehen zu müssen. „Man kann sich gegenseitig stärken durch Hilfe“, betont Regina. Schaut man zum Beispiel auf die Tierwelt, erkennt man, dass auch dort gegenseitige Hilfe zum Erfolg führt. Die Aufzucht von Jungtieren, Jagdstrategien als Rudel und der Schutz in Herden sind Überlebensstrategien aus der Natur. Warum also sollten wir Menschen diese Vorteile, die wachsende Stärke durch Mitmenschen, nicht auch nutzen?
Durch das jahrelange Engagement hat Regina neben der kleinen Nachfrage beim Nachbarn schon in ganz anderen Größenordnungen geholfen: Die Flut im Ahrtal bleibt ihr dabei besonders im Gedächtnis. “Wenn die Belgier schaffen, das aufzusetzen, dann schaffen wir das auch”, erinnert sich Regina. “Aufgaben klar verteilen, Timelines setzen, immer wieder verfolgen, ob der Termin eingehalten wurde. Erfolge an das ganze Team kommunizieren und die Kommunikation nach außen betreiben”, so haben Regina und der Rest der Truppe diese Zeit überstanden. Regina lässt das Mammutprojekt so einfach erscheinen, bei dem sie 2021 aus dem Nichts unentbehrliche Hilfe für die Opfer der Flutkatastrophe herbeigezaubert hat. Das Wichtigste dabei: Hilfe muss auf die Bedürfnisse zugeschnitten sein. Mehrere hundert Packungen Eiscreme nützen niemandem etwas, wenn der Kühlschrank keinen Strom hat. Kindergartenkindern, die jedoch dank neuen Gummistiefeln nicht mehr durch Schlamm waten müssen, steht die Dankbarkeit ins Gesicht geschrieben.
Was Reginas Hilfe von denen der meisten anderen unterscheidet, ist ihr Wirkungskreis. Natürlich muss jeder erstmal ganz klein anfangen, wir erinnern uns: ein Werkzeug ausborgen oder im Bus einem Rollstuhlfahrer die Rampe herunterklappen. Aber wenn es einen großen Hilfebedarf gibt – z.B. bei der Flut im Ahrtal – wird die Sache schon schwieriger. Das Problem: das Skalieren von Hilfemaßnahmen, so denken wir zumindest und fragen deshalb bei Regina nach. Direkt zu Beginn gibt Regina uns Hoffnung: “Natürlich kannst du Hilfe skalieren.” Im gleichen Atemzug erklärt sie jedoch, dass es bei Hilfe zumeist an Personen, den Freiwilligen, mangelt, die bereit sind, anzupacken und etwas zu verwirklichen. Bei WirHelfen.eu sind es die Community und das Teamgefühl, die Mitarbeitenden von innen antreiben, bei tollen Projekten mitzumachen. Es steckt viel dahinter, Herzblut und Emotionen sind verbunden mit dem, was man tut. Das schafft Motivation. Dennoch, Gemeinnützigkeit ist kein Zuckerschlecken. Für freiwillige Dinge hat man nur begrenzt Zeit. Die Dokumentation von Spenden und deren Verwendung ist ein riesiger Aufwand, der gezwungenermaßen mit Arbeit und Privatleben kollidiert – zum Helfen muss man sich entsprechend selbst Raum schaffen, sonst fällt es hinten runter.
Genauso schwierig, wie sich der Anfang des Helfens gestaltet, ist das Beenden von Projekten.
Gegen Ende des Interviews gibt uns Regina einige Lebensweisheiten auf den Weg. Eine ihrer wichtigsten Erkenntnisse ist, dass Loslassen schmerzhaft, aber notwendig ist. Nur, wenn ich ein Projekt beenden kann und weiß, dass es von alleine weiterläuft, kann ich mich dem nächsten Projekt widmen und somit selbst wachsen. Um diesem Wachstumsbedürfnis nachzukommen, hat Regina sich schon das nächste Ziel ins Auge gefasst: Die Australien-Tour des Solar-Butterflys. Der Solar-Butterfly ist das größte solarbetriebene Fahrzeug der Welt, welches das Reisen ohne CO2 Emissionen ermöglicht. Seit zwei Jahren ist er auf Weltreise, um in unterschiedlichen Ländern auf klimafreundliche Lösungen aufmerksam zu machen, Inspiration zu schaffen und Menschen für neue Energie sensibilisieren. Nachdem Regina selbst sechs Jahre in Australien gelebt hat, organisiert sie die Tour des Solar-Butterflys dort.
Und wir? Wir borgen weiterhin Werkzeuge aus, halten die Augen auf und schauen, wo man helfen kann. Unser Interview endet, wie es angefangen hat: mit dem Blick nach vorn. “Tue Gutes und rede darüber.” Wer weiß, was aus den kleinsten Dingen mal werden kann.