Die Internetverbindung ist ein bisschen wackelig, doch mit ausgeschalteter Kamera merkt man nicht, dass über 7.000 Kilometer zwischen meinen Gesprächspartnern und mir liegen.
Ich habe die Ehre, mit Simon und Jonathan zu sprechen, die sich von der Insel Pemba, Tansania, per Smartphone zugeschaltet haben. Was die beiden dort machen? „Wir wollen Menschen dazu befähigen, sich selbst zu helfen und neue Perspektiven zu bekommen”, erklärt Simon. Mit dieser Mission lebt der studierte Biologie- und Englischlehrer seit mittlerweile siebeneinhalb Jahren auf Pemba.
Aber noch einmal von vorn: Im Jahr 2009 wurde die NGO Pamoja Zanzibar gegründet, für die Simon arbeitet. Das Ziel von Pajoma Zanzibar ist Hilfe zur Selbsthilfe: Menschen neue Fähigkeiten so vermitteln, dass sie diese langfristig und nachhaltig für sich und andere einsetzen können.
Von der Autowerkstatt zum Excel-Kurs
Den Anfang machte eine Autowerkstatt auf der Insel Sansibar, gefolgt von einer Nähschule. Später kam ein großes Entsalzungsprojekt hinzu, denn Zugang zu Trinkwasser ist auch in der Region ein wichtiges Thema.
Nach Pemba zog Simon mit Frau und Kindern dann im Jahr 2016. „Am Anfang ging es für mich vor allem darum, die Sprache zu lernen und die Kultur zu verstehen“, sagt Simon. Er unterrichtet Englisch an einer Mädchenschule in der Stadt Konde, eine „coole Erfahrung“, besonders durch das gemeinsame Lernen auf Augenhöhe, oder wie Simon sagt: „Schulter an Schulter“. Mit und von den Schülerinnen und den Menschen auf der Insel zu lernen, war für Simon eine große Bereicherung.
In dieser Zeit bemerkte er aber auch, wie groß der Bedarf an Fortbildungsmöglichkeiten für die Lehrenden ist. Und dass die fehlende IT-Infrastruktur viele Herausforderungen mit sich bringt: Die Klassen sind groß, Computer gibt es oft keine oder nur ein altes, im schlimmsten Fall kaputtes Gerät. Ohne Computer und schlaue Programme wie Excel und Co. sind zentrale Aufgaben wie das Berechnen der Jahresendnoten für 100 Schüler mit großem Aufwand verbunden.
„Ich habe mich gefragt, wie man da Abhilfe schaffen könnte“, erzählt Simon, „und dachte mir: Es wäre doch super, wenn wir hier Computerkurse geben könnten!“
Mit Nachhaltigkeit zum Erfolg
Gleichzeitig musste natürlich die Infrastruktur verbessert oder überhaupt erst geschaffen werden. Aber aus vorherigen Projekten, beispielsweise Initiativen der Regierung, weiß Simon: „Projekte, die ohne Training einfach nur Inventar bereitstellen, funktionieren nicht. Die Geräte werden wenig genutzt und gehen kaputt.“ Auf der Insel zeugen einige „Computerruinen“ von solchen Bemühungen, bei denen zwar an Geräte, aber nicht an das erforderliche Know-How für Umgang und Pflege gedacht wurde.
Pamoja Zanzibar und Simons Team verfolgen daher einen anderen Ansatz: „Wir bieten Fortbildungen für Lehrkräfte an, und wenn mindestens zwei Lehrer einer Schule an der Fortbildung teilnehmen, bekommt diese Schule einen Computer.“ So wird das Gelernte direkt angewendet und weiter gefestigt, die Kompetenzen können innerhalb der Schule weitergegeben werden und nicht zuletzt gibt es so auch immer jemanden, der sich im Umgang mit dem Computer auskennt und Verantwortung für Wartung und Pflege übernimmt.
Auf diese Weise kamen im vergangenen Jahr Kooperationen mit 38 Schulen zustande. Nach dem Umzug in eine neue Region um die Stadt Wete entstanden dort schon 12 neue Kooperationen. Insgesamt sind es also nun schon 50 Schulen, mit denen Pajoma Zanzibar erfolgreich zusammenarbeitet. Auch das Computerzentrum in Konde wurde mittlerweile vergrößert.
Von 5 auf 30 Prozent
Bei einem seiner regelmäßigen Besuche in Deutschland hatte Simon dann im letzten Jahr Jonathan kennengelernt. Gerade am Ende seines Informatikstudiums, war Jonathan begeistert von dem Projekt und beschloss, die Initiative im Rahmen eines Praktikums zu unterstützen. „Die Vorstellung, in eine Welt reinzuschauen, in der ich noch nie gewesen bin, hat mich sehr angesprochen“. Erste Erfahrungen mit dem Zusammenwirken von IT-Themen und Helfen hatte er schon als Frontend-Entwickler für die Plattform WirHelfen gemacht, aus welcher das WirHelfen Magazin hervorgegangen ist.
„Es ist beeindruckend, hier zu sein“, berichtet Jonathan. Vieles ist auf Pemba ganz anders als in Deutschland, auch im Computerunterricht zeigt sich das: „Man fängt auf einem ganz anderen Level an. Während man in Deutschland mit IT-Bildung vielleicht von 80 auf 90 Prozent kommen möchte, ist es hier eher von 5 auf 30 Prozent“. Die wenigsten Menschen auf Pemba besitzen einen eigenen Computer, erklärt Simon. Manche kommen in den Kursen sogar zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt damit in Kontakt.
Motivation und Erfolg auf allen Seiten
Um so schöner sind die Erfolgserlebnisse. Simon ist die Begeisterung deutlich anzuhören, wenn er von solchen Highlights erzählt. Zum Beispiel, wie eine Lehrerin ohne vorherige Computerkenntnisse oder IT-Affinität bei der Abschlussfeier eines Kurses souverän vor der ganzen Runde zeigt, wie sie nun die Jahresendnoten in einer Excel-Schülerliste berechnen kann. „Der bei der Feier anwesende Bildungsbeauftragte hat auch nur gestaunt, das sei ja wie Zauberei!”, erinnert sich Simon. „Die beeindruckenden Wachstumskurven im Fortschritt der Teilnehmenden und die große Dankbarkeit der Lehrer und Schulleiter sind immer wieder aufs Neue motivierend.“
Bei den Teilnehmenden selbst auch Freude und Motivation zu erleben, macht den beiden viel Spaß. Zu sehen, wie die Menschen fähig sind, ihre Aufgaben mit den digitalen Tools zu erledigen, wie sie in die IT-Welt eintauchen und dort Kompetenzen aufbauen, ist die beste Bestätigung für die wertvolle Arbeit.
Auch im Umgang mit der Technik hat IT-Administrator Jonathan immer wieder Erfolgserlebnisse. Zum Beispiel, wenn ein scheinbar kaputtes Gerät doch wieder zum Leben erweckt werden kann. Das ist dann oft mit viel Herumprobieren verbunden, Teile werden ein- und ausgebaut – und manchmal klappt es dann auch einfach wie von Zauberhand wieder.
Die Kurse werden allgemein sehr gut angenommen– so gut, dass nun sogar ein Aufbaukurs angeboten wird, in dem die Teilnehmenden ihre Kenntnisse vertiefen können. Auch die langjährige Kooperation mit dem Bildungsministerium funktioniere überaus gut, berichtet Simon erfreut.
Viel zu tun und viele Pläne
Auf die Frage nach seiner Vision für Pemba und die Projekte dort, hat Simon viele Ideen.
Hauptschwerpunkt ist zwar der Ausbau von Computerzentren wie dem in Konde, wo sich junge Leute fortbilden können, um für Studium, Ausbildung oder Job gerüstet zu sein. „Irgendwann haben hoffentlich alle Schulen der Insel so etwas“, sagt Simon. Doch auch den Bau einer Schule zu koordinieren, wie das schon auf Sansibar gemacht wurde, kann sich Simon gut vorstellen. Die Bevölkerung auf Pemba wächst rasant, der Altersdurchschnitt der 410.000 Einwohner liegt bei 18 Jahren – der Bedarf ist also da und stetig steigend.
Für Jonathan geht das Praktikum und damit die Zeit auf Pemba nun bald zu Ende. Wie es dann weitergeht, lässt der Student noch offen. „Ich kann mir aber gut vorstellen, langfristig wieder hierher zu kommen.“
Was ihm am meisten fehlen wird? „Dass wir hier alle an einem Strang ziehen, ein Team sind, alle das gleiche Ziel vor Augen haben. Das schafft eine Klarheit, die sehr motivierend ist.“
Neue Erfahrungen, neue Perspektive
Helfen verändert auch die Helfenden. Jonathan hat – neben Suaheli-Kenntnissen – eine ganz neue Perspektive aus der Zeit auf Pemba mitnehmen können. So hat sich sein Blick auf Deutschland verändert, besonders auf die zahlreichen Privilegien, welche die Menschen dort genießen, manchmal ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. Als Beispiel nennt Jonathan die Krankenversicherung. Auf Pemba ist diese nicht selbstverständlich, mit schwerwiegenden Folgen: „Krankheiten, die eigentlich leicht zu behandeln wären, werden deshalb oft nicht behandelt.”
Unterstützen im Ausland – was es dafür braucht
Für Menschen, die es Jonathan und Simon gleichtun und die Erfahrung des Helfens in einer ganz neuen, unbekannten Umgebung machen möchten, haben die beiden auch praktische Empfehlungen.
„Was mich motiviert hat, war, meine fachlichen Fähigkeiten einbringen zu können. Das, was man zum Beispiel bereits studiert hat, auch gewinnbringend woanders einzusetzen, ist auf jeden Fall eine tolle Erfahrung“, sagt Jonathan.
Und ganz wichtig: Sich nicht durch die eigenen Ansprüche eine zu große Hürde setzen. „Es muss ja nicht gleich ein ganzes Jahr sein, das man im Ausland verbringt. Lieber das Ziel tief stecken und nur ein paar Monate planen. Das hilft, das Ganze überhaupt in Erwägung zu ziehen.”
Simon sieht es ganz pragmatisch: „Meine Empfehlung wäre, es einfach zu machen. Den Horizont erweitern, etwas anderes ausprobieren, etwas Unbekanntes essen, eine neue Kultur erleben, das bringt einem viel im Leben.“
Ist die Entscheidung dann gefallen, ist es außerdem ratsam, offen und ohne allzu konkrete Erwartungen an die Sache heranzutreten. Hingehen, sich darauf einlassen und sich darüber freuen, so viel Neues lernen zu dürfen: So bringt Simon die aus seiner Erfahrung beste Einstellung auf den Punkt.
Unterstützen? Mitmachen, Geld spenden, und am besten: Altgeräte sammeln
Wer nun Lust bekommen hat, etwas zur Arbeit von Pamoja Zanzibar beizutrage,, hat verschiedene Möglichkeiten. Zum einen natürlich das Helfen vor Ort. Da das Team sehr klein ist und eng zusammenarbeitet, muss dafür aber die Chemie stimmen. „Es muss klicken. Aber wir sind immer offen für ein Kennenlernen!“ betont Simon. Ein weiterer Punkt ist der finanzielle Support, auch dieser hilft den Projekten auf Pemba direkt.
Davon abgesehen gibt es aber noch eine dritte, sehr wichtige Möglichkeit: Geräte spenden, die nicht mehr genutzt werden. „Fast jeder in Deutschland hat irgendwo ein altes Smartphone oder einen ausrangierten Laptop in der Schublade herumliegen. Wir können solche Geräte hier immer gebrauchen!“, macht Simon deutlich. „Egal, wie alt die Geräte sind. Einfach sammeln und bei uns melden, wir kümmern uns um den Rest. Das wäre wirklich eine gute und praktische Hilfe.“
Also: Wer zuhause unbenutzte Geräte herumliegen hat, kann einfach eine E-Mail an [email protected] schreiben. Das Team organisiert den Transport.
Das ist also wenig Aufwand mit großer Wirkung. Und passt damit perfekt zur Philosophie, die bei Pamoja Zanzibar gelebt wird. „Uns ist wichtig, dass man den Nächsten sieht und für ihn da ist“, schließt Simon. „So ist es möglich, einen großen Unterschied mit vermeintlich wenig zu erreichen.“