Seit September 2020 arbeitet Celal ehrenamtlich als Netzwerker bei WirHelfen.eu und ist seitdem dort nicht mehr wegzudenken. Nach der Flutkatastrophe in weiten Teilen Deutschlands im Sommer letzten Jahres hat er schnell reagiert, organisiert und vielen Menschen geholfen.
Ein Samstagabend im Spätsommer. Die meisten des WirHelfen.eu-Teams treffen sich zum ersten Mal jenseits Bildschirms bei einem gemeinsamen Fest zu Grill- oder Tofuwurst. Nur einer fehlt noch: Celal.
Wie die anderen kennt man Celal, ohne ihn wirklich zu kennen. Man sieht ihn immer wieder in den virtuellen Team-Meetings, koordiniert Hilfsaktionen mit ihm, hört von seinen Taten. Und doch bleibt er einem – wie so viele andere in diesen digitalen Zeiten – auf eine bestimmte Art und Weise unbekannt.
Eigentlich glauben wir nicht wirklich daran, dass er noch kommt. Gestern hatte er selber noch Hilfsaktionen in den Flutgebieten koordiniert, kam erst um drei Uhr nachts nach Hause, müsste jetzt für diesen einen Teamabend die 650 Kilometer von Oberhausen nach München auf sich nehmen – nur um am nächsten Tag die gleiche Strecke zurückzufahren.
Dann steht er da, ist so herzlich wie man ihn aus den Team-Meetings kennt. Ein junger Mann, groß gewachsen, hellbraune Haare. Als er uns begrüßt, verrät sein Akzent gleich, wo er herkommt: aus dem Ruhrgebiet.
”Es ist unsere Pflicht, den Menschen zu helfen, die links und rechts von uns in Not geraten sind.
Celal Şimşek
Vielleicht hätte es uns doch nicht überraschen sollen, dass er so weit fährt, nur um mit uns den Abend zu verbringen. Celal ist ein Mann der Tat. Genau wie er handelte, als er einige Wochen zuvor von der Flutkrise erfuhr.
“Wir bei WirHelfen sind nicht nur eine digitale Plattform für Hilfe“, sagt er. “Es ist unsere Pflicht, den Menschen zu helfen, die links und rechts von uns in Not geraten sind.” Also organisierte er freiwillige Helfer, Laster, Lebensmittel. Alles, was die Menschen in den betroffenen und verwüsteten Hochwassergebieten brauchten.
Bild 1: Freiwillige der Bayernfreunde mit Herz. 5. v. l.: Koordinator: Celal Şimşek. Foto: Patrick Hoffmann
Bild 2: Freiwillige Helfer und Ehrenamtliche von WirHelfen.eu. v.r. Celal Şimşek. Foto: WirHelfen.eu
Bild 3: Verwüstungen nach der Hochwasserkatastrophe 2021
Unter anderem koordinierte er 25 Helfer*innen und Maschinen für die Aufräumarbeiten. Zusammen mit der kleinen privaten Initiative Bayernfreunde mit Herz räumten sie in Nordrhein-Westfalen, genauer: in Swisttal-Odendorf und Erftstadt-Blessem, mit Baumaschinen, LKWs und Baggern die Straßen frei und sammelten insgesamt 22 LKW-Ladungen Müll. Er konnte die Bundeswehr davon überzeugen, die LKWs kostenfrei aufzutanken.
”Ich war auf all das – das Leid, die Trauer, den Schmerz, das Elend, die toten Tiere und Menschen – nicht vorbereitet
Celal Şimşek
“Ich war auf all das – das Leid, die Trauer, den Schmerz, das Elend, die toten Tiere und Menschen – nicht vorbereitet“, sagt Celal, mittlerweile mit einem vollen Grillteller, hatte er auf der Fahrt doch nicht einmal zum Essen angehalten. “Es war es trotzdem wert, weil das Lachen, die Umarmungen, die La-Ola-Wellen und die Gemeinschaft am Ende das Leid überwiegen.”
Er fuhr zwei lange Wochenenden hintereinander, für insgesamt acht Tage, in die betroffenen Regionen und unterstützte die Menschen vor Ort. Das alles neben seinem Vollzeit-Bachelor zum Wirtschaftsingenieur für erneuerbare Energien, seiner Arbeit bei der Siemens AG und seiner Tätigkeit als Schiedsrichter.
Celal übergibt an Weihnachten 2021 betroffenen Kindern der Flutkatastrophe Geschenke. Foto: privat
Wie er das alles schaffe, fragen wir ihn. Das wisse er selbst nicht so genau. “Weil es mich erfüllt”, mutmaßt er. Er funktioniere am besten unter Druck. “Außerdem ist keine Arbeit so hart, wie die, die mein Großvater machen musste.”
Celal stammt aus einer Arbeiterfamilie. Sein Großvater kam als Gastarbeiter nach Deutschland, arbeitete sein Leben lang in einer Zeche. Celal wuchs in einer Gegend auf, in der sich die Stärkeren behaupteten. Oft mit Worten, öfter mit Fäusten.
Früher habe er sich häufig hilflos gefühlt. „Mir haben Menschen Hilfe verwehrt, von denen ich genau wusste, sie hätten mir zur Seite stehen können.“ Schrecklich sei dieses Gefühl für ihn gewesen. Er wolle nicht, dass sich jemand auch so fühle. Nicht, wenn er etwas dagegen tun könne.
”Es gibt noch viel in den Flutgebieten zu tun.
Celal Şimşek
Celal pausiert kurz, trinkt von seinem alkoholfreien Bier. Anstatt weiter über sich zu reden, sagt er: “Es gibt noch viel in den Flutgebieten zu tun.” Der Winter naht und viele Häuser sind noch nicht wetterfest, die Menschen noch nicht gegen Kälte, Schnee und Regen geschützt. Die Bewohner brauchen Heizungen, Decken und warme Kleidung.
Am nächsten Tag sind noch ein paar kalte Tofuwürste übrig. Celal aber ist schon wieder auf dem Weg in Richtung NRW. Um die Hilfsanfragen zu beantworten, die seit Wochen sein Postfach fluten. Um zu helfen, wo er kann. Und um seinen Großvater stolz zu machen. Hoffentlich hat er sich dieses Mal wenigstens etwas Proviant mit auf den Weg genommen.