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Kim Flammiger, die Inhaberin von „Kim’s Kindertanz“, Bayerns einziger inklusiver Ballettschule, im Porträt.

Ende September, ein Mittwochabend im Münchner Westend. Das Oktoberfest hat das Viertel um die Theresienwiese wieder fest im Griff: Partymusik dröhnt aus Bierzelten, U-Bahnhöfe spucken im Minutentakt Feierwütige aus und nehmen sie wieder zurück. Keine 500 Meter westlich der „Wiesn” – ein anderes Bild: ruhige Seitenstraße auf dem früheren Messegelände, schlichtes Wohnhaus in Beige, Neubau.

Beschwingte Klaviermusik, wie aus Stummfilmen der 1920er Jahre, dringt aus dem Erdgeschoss. Hier, auf 70 Quadratmetern, hat Kim Flammiger ihr Reich. Große Schaufenster, ein charmant-buntes Sammelsurium rund um einen hellen Tanzboden: Trampolin, Bälle, Spielzeug und ein Klavier. Von einem Poster grinst Gorilla Johnny, aus dem „Sing“-Animationsfilm, den Betrachtern entgegen. In der Mitte des Raumes eine runde Säule. Fotos von Auftritten an der Wand. Und mehrere große Spiegel.

„Vorne – Seite – hinten – vorne – Seite – hinten. Und schließen. Ausschütteln. Seitentausch!“ Gerade üben die Mädchen an der Stange: Teenager, heute nur zu fünft. Klassisches Ballett steht auf dem Programm. Mit dem Rücken zum Spiegel, Fernbedienung in der Hand und Argusaugen, denen nichts zu entgehen scheint: die temperamentvolle Inhaberin.

Die dunkelblonden Haare zum Dutt frisiert, sonst erinnert ihr Äußeres kaum an eine Tänzerin. „Ich bin eine Ballettlehrerin mit Bauch“, kommentiert sie selbstbewusst ihren mittlerweile kräftigen Körperbau. Flammiger mag es farbenfroh, auch beim Tanzen: 1,65 m groß, grüne Augen hinter oranger Brille, weinrote Leggings, weißes T-Shirt mit „Skate Lucy“-Aufdruck, bunte Tanzschuhe.

„Halt den Oberkörper, Standbein-Knie gestreckt, Mira! Komm, Mausi!“ Mira ist mit 17 eine der Älteren, vierjährig begann sie mit Ballett. Mit neun Jahren hatte sie einen schweren Verkehrsunfall, der ein Schädel-Hirn-Trauma verursachte. Seitdem ist sie kognitiv eingeschränkt, hat Schwierigkeiten beim Sprechen. Und eine Ataxie, Einschränkung der Bewegungskoordination, löst in der linken Körperhälfte regelmäßig Zittern aus.

Ganz selbstverständlich tanzt Mira hier mit. Ein seltenes Miteinander, „Kim’s Kindertanz“ ist als einzige Ballettschule Bayerns offen für alle jungen Menschen: mit und ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen.

Eine Frau, die anzündet. Kim's Kindertanz, Kim's Kindertanz, Bayerns einzige inklusive Ballettschule. Außenansicht.
Außenansicht: „Kim’s Kindertanz“ in der Carlamaria-Heim-Straße im Münchner Westend. Foto: Georg Hiebl

 

„Mehr denn je brauchen Kinder diese liebevolle Ansprache.“

Viele von Flammigers Kursen sind inklusiv: maximal 16 Kinder pro Kurs, davon höchstens zwei bis drei mit Einschränkungen, da die Beeinträchtigten wesentlich mehr Aufmerksamkeit erfordern.
Es gibt auch Kurse mit nur gesunden Kindern und außerdem solche, an denen ausschließlich Schüler*innen mit Einschränkungen teilnehmen. Etwa weil sie – mitten in der Pubertät – lieber unter sich sind.

Der Mädchenanteil, balletttypisch, sehr hoch, nur wenige Jungen, doch „das ändert sich“, stellt Flammiger sachlich fest. Das Altersspektrum: vier bis 18 Jahre. Im Angebot: Ballett, Modern Dance, Jazzdance, Hip Hop. Die Diagnosen bei den Beeinträchtigten: unter anderem Trisomie 21 („Down-Syndrom“), Epilepsie, Autismus, Spastik, Diabetes, Glasknochenkrankheit.

Prof. Dr. André Frank Zimpel, Erziehungswissenschaftler an der Universität Hamburg, befürwortet gerade bei Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen (wie zum Beispiel Trisomie 21) Tanztraining sehr, weil es die gesamte Muskulatur und das zentrale Nervensystem fordere und fördere. Wichtig dabei: Motivation aus eigenem Antrieb, die sich durch Vorbildfunktion von jemand anderem, beispielsweise einer Tanzlehrerin, wecken lasse. „Man muss selber brennen für die Sache, dann kann man die Leute ‚anzünden'“, sagt Zimpel.

„Paula, super! Ich mach‘ eigentlich ziemlich Tempo grad‘. Geht das?“ – „Ja, passt schon.“ – „Du bist klug und groß und super!“ Paula ist ganz neu im Kurs.

Die Kurse gibt Flammiger selbst, geeignetes Lehrpersonal finde sie kaum, trotz guter Bezahlung. „Genau hinschauen: Was braucht das Kind? Das macht doch keiner, ist doch viel zu anstrengend. Aber für mich ist das nicht anstrengend.“ Nötig seien Verständnis für individuelle Persönlichkeiten und Einfühlungsvermögen in Entwicklungsstand und soziale Lage. „Mehr denn je brauchen Kinder diese liebevolle Ansprache.“ Statt nur zu funktionieren wie in der Schule.

Flammigers Ziele: unter anderem die Förderung von Sozialverhalten, Motorik, Konzentration, Achtsamkeit und Sprache. Und Freude an der Bewegung. Um eine Tanzkarriere gehe es selten. Zu ihren Schützlingen hat sie ein vertrauensvolles Verhältnis. „Mir erzählen die Kinder Dinge, die sie vielleicht ihren Eltern nicht erzählen würden.” Die sie für sich behalte.

„Businesstechnisch ist es einfacher reinzugehen, ‚Guten Tag, wie geht’s euch? An die Stange!‘, unterrichten und wieder gehen. Ohne Emotion.“ Nicht so bei Kim Flammiger: „Und dann haben sie Hunger. Und dann wollen sie nicht nach Hause gehen.“ Kinder, auf die nach der Tanzstunde keine Mahlzeit wartet, weil die Eltern sich mit mehreren Jobs über Wasser halten und erst spätabends zurückkehren. „Ich hab‘ immer was für sie zum Essen da.“ Kekse und Salzgebäck zum Beispiel.

„Und wenn ihr heimgeht, geht ihr vorsichtig, ja? Und Betrunkenen geht ihr ganz weit aus dem Weg! Okay, Mädels?“ Mit großer fragender Miene schaut Flammiger in die Runde. Die Ballettschülerinnen nicken.

Flammiger tanzt vor und mit. Und schaut zu, mal im Stehen, mal im Sitzen, prüft mit genauem Blick die Ausführung der Schülerinnen. Mit energischer Stimme korrigiert sie, und mit helfender Hand. Immer wieder stoppt sie die Musik von der CD. Der Tonfall mal bestimmt, mal herzlich. Immer direkt, doch mit Respekt. Ob Stirnrunzeln, weit aufgerissene Augen oder Grimassen – mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik kommentiert und motiviert sie. Und unterhält die Anwesenden. Die Tanzschule als Flammigers Bühne.

Eine Frau, die anzündet. Kim's Kindertanz, Bayerns einzige inklusive Ballettschule. Ballett, Yoga-Übung, Kerze.
Kim Flammigers kritischen Augen entgeht auch bei der „Hohen Kerze“ nichts: Yoga-Übung im Ballettunterricht für die Jüngsten. Foto: Georg Hiebl

 

Zunächst behütete Kindheit…

1964 kam sie in Herrsching am Ammersee zur Welt: „heimlich“, weil unehelich. Damals noch ein Makel. Die ersten sechs Jahre – eine behütete Kindheit: in einem großen Haus der geliebten Großmutter, die mal adelig verheiratet war, im großbürgerlichen Münchner Stadtteil Nymphenburg. Zusammen mit Mutter, Onkel, Tante und Urgroßmutter.

Die Großmutter nahm sie schon als Kleinkind mit ins Theater und in die Oper, auf musische Bildung legte sie viel Wert. Mit drei hatte Flammiger die ersten Ballettstunden. „Ich war ein absoluter Bewegungsjunkie.“ Sich zu Musik auszutoben, machte sie glücklich. „Ich hab‘ schon mit vier gesagt: ‚Ich werd’ Tänzerin!'“

Ihre Mutter wurde wieder unehelich schwanger. Die Großmutter legte ihr den Auszug nahe. Flammiger musste mit, fand keinen Draht zur Mutter. Die hatte als Kind Kinderlähmung und Hirnhautentzündung. Die Spätfolge: eine Psychose, die nie behandelt wurde. Davon erfuhr Flammiger erst Jahre später. „Wir waren uns immer fremd.“ Ärmlich waren die Verhältnisse obendrein. Unglücklich lief sie oft von zu Hause weg.

Mit zehn kam sie in ein katholisches Kinderheim. Es war die Idee der besorgten Großmutter. Eine schwere Zeit begann, Nonnen führten dort ein gnadenloses Regiment. Besonders eine schien es auf Kim Flammiger abgesehen zu haben. Sie verprügelte und trat sie regelmäßig mit Schuhabsätzen. „Nur weil ich bin, wie ich bin: freiheitsliebend.“ Mal gab’s Schläge, als sie, trotz Verbots, Klavier übte, mal für Streiche: Etwa weil sie Brotkrümel auffällig zu Boden fallen ließ, wenn diese Nonne Kehrdienst hatte.

„Die Kinder fanden mich alle gut“, stellt sie lächelnd fest. Noch ein Hinweis, dass sie für die Bühne geboren war. „Klar, ich war schon nicht von schlechten Eltern“, beschreibt sie mit schelmischem Grinsen ihre Lebhaftigkeit. „Aber dafür darf man Kinder nicht verprügeln!“ Ihre Miene wird ernst: „Die Klosterschwestern haben jedes Register gezogen, um zu versuchen, einen zu brechen. Haben sie aber bei mir nicht geschafft.“

Mit der Zeit im Heim begann auch ihre Tanzlaufbahn: eine kostenlose Ausbildung im Kinderballett der Bayerischen Staatsoper. Sechs durchgetaktete Jahre, vormittags Schule, dann drei Stunden strenges Balletttraining täglich, wieder zurück ins verhasste Heim. Bis zu ihrem 16. Lebensjahr.
Das Prügeltrauma habe sie später in einer Therapie bewältigt. „Ohne schafft man das nicht.” Etwas Positives zieht sie daraus: „Jetzt profitiere ich, weil ich jedes Kind verstehen kann.“

Hilfreich für ihre Tanzschule, denn viele Kinder kommen direkt aus dem Westend, seit drei Jahrzehnten Flammigers Lebens- und Arbeitsmittelpunkt. Das bedeutet für ihre Kurse: häufig Migrationshintergrund, schwierige bis wohlbehütete Familienverhältnisse. Gegensätze als besondere Herausforderung? Flammiger verneint und sieht gemeinsame Interessen, die Brücken bauen. Wie auch beim Fußball.

Was hast du jetzt? Zehnte, ja?“ Emma nickt. Flammiger flüstert laut: „Schaffst du wie d’Sau, ja!“ Und in normaler Lautstärke: „Dann hast Du Mittlere Reife. Gut!“ Beide lächeln.

Nach der Volksschule wandte sich Flammiger ans Jugendamt, um weiterführende Schulen besuchen zu dürfen. Die Heimleitung war dagegen. „Realschule war ziemlich einfach.“ Dann Fachoberschule, Fachabitur. Parallel viele Fortbildungen: Schauspiel, Gesang, Musical, Jazzdance, Steptanz. Nebenbei jobbte sie. Auch mit kleineren Nebenrollen in Fernsehserien. „Überall wo ich hinkam, haben sie mich g’nommen. (…) Da bin ich sehr dankbar!“

Zwei Leben: bis 18 und danach

Eigentlich heißt sie ja Gabriele. Doch mit 16 stieg Flammiger als Sängerin bei einer Band ein, in der es schon eine Gabi gab. Kim Wilde, in den Achtzigern eine berühmte britische Rocksängerin, inspirierte sie zu ihrem Wahl-Vornamen.
Volljährig konnte sie endlich das Heim verlassen. „Ich hab‘ immer gewusst, ich hab‘ zwei Leben: eines vor meinem 18. (Geburtstag, Anm. d. Red.), eines nach meinem 18. Das war immer klar: Ich werd‘ nie untergehen! Und ich werd‘ nie wieder verprügelt! Und ich werd‘ nie wieder arm sein!“

„Fünf Liegestützen, bin eh scho‘ nett, komm, fünf Liegestützen, aber saubere!“ Jetzt ist Muskelkräftigung angesagt. „Sehe ich so aus, als könnte ich Liegestützen?“, fragt Marlene scherzhaft und unwillig. Flammiger kontert trocken: „Ja, so siehst du aus!“ Allgemeines Gelächter in der Runde, ihr Humor kommt an.

„Ja, Mira, ja, ja, ja, komm, Muckelchen, cool, ohne Wackeln!“, fiebert sie mit. Mira quält sich. Dass sie krankheitsbedingt zittert, erschwert es ihr sichtlich. Mit letzter Kraft bewegt sie sich nach oben. „Und aus, aus, aus!“, fordert Flammiger sie auf abzusetzen. „Hey, das is‘ gut, Mira! Das hätt’st du vor vier Monaten noch ned gekonnt! Ausschütteln!“ „Lebst noch?“, fragt sie ironisch. Mira bejaht, ein wenig außer Atem, und lächelt zufrieden.

Nach dem Heim ging es für Flammiger zügig weiter: ein paar Semester Sozialpädagogik-Studium, doch Tanz war wichtiger. Engagement am Schauspielhaus in Düsseldorf, Europatournee mit dem Musical „Anatevka“. Im Ensemble lernte sie Erik kennen, der fand, sie müsse an ihrem Können noch feilen: in seiner Heimat, den USA. 1989 ging es gemeinsam nach New York. Wieder viele Tanzstunden. „Da hab‘ ich erst gewusst, was gute Tänzer sind”, schmunzelt sie. Die beiden heirateten.

Es folgten gemeinsame Jahre mit Musical-Engagements quer durch die USA. Flammiger wurde mit Tochter Aurora schwanger. Kaum Mutter geworden, wurde sie nicht mehr engagiert. Situation und Vaterrolle überforderten ihren Mann. Sie trennten sich. Unterhalt bekam sie keinen. Dafür bezahlte er die gemeinsamen Schulden ab.

Mit ihrer zweijährigen Tochter ging sie nach München zurück und begann an der Staatsoper im neu gegründeten Opernballett für „alte Tänzer“. Die durften älter sein und mehr auf die Waage bringen als im klassischen Ballett. Das kam ihr gelegen, sie hatte mit 30 keine „Ballerinamaße” mehr. Von nun an bestritt sie viele Auftritte in Opernproduktionen, was sie nicht nur mit Tanztalent begründet. Als „einzige kräftige Tänzerin“ sei sie für viele Rollen die erste Wahl gewesen.

Sie wertet es hier als Glücksfall, dass sie zugenommen hatte. Ballett – eine Kunstform mit einem sehr traditionellen Körperideal, mit dem sie bricht: Magersucht sei nicht nötig, „um schön zu sein“. Auch nicht in ihrer Tanzschule. Sie plädiert dafür, alle Kinder gleich zu respektieren, auch wenn sie „mehr Gewicht auf den Rippen“ haben.
„Ich hab‘ gigantische 20 Jahre (…) an der Staatsoper verbracht“, resümiert Kim Flammiger. Ihre Tochter war jahrelang hinter den Kulissen bei jeder Probe und Aufführung mit dabei, in kleineren Rollen stand sie auch immer wieder selbst auf der Bühne.

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„20 gigantische Jahre an der Bayerischen Staatsoper“: Kim Flammiger posiert 1998 mit Tochter Aurora nach deren Auftritt im „Freischütz“ für die Kamera. Foto: Kim Flammiger (Archiv)

 

Beginn von Inklusion

Die bescheidene Gage reichte für die Alleinerziehende nicht aus, Flammiger begann zu unterrichten. Ab 1994 in ihrer eigenen Ballettschule. Erst acht Kinder, dann immer mehr. Die Opern-Engagements liefen weiter. Ein paar Umzüge, bis sie dann die heutigen Räume bezog. Harte Anfangsjahre, mit wenig Schlaf, zwei Jobs, kaum freien Wochenenden und einem kleinen Kind. Und wenig Geld in der Tasche.

2002 begann sie mit Inklusion. Der Auslöser? Eine Mutter, Leiterin eines Kindergartens, schickte ihren vierjährigen Sohn. Flammiger wunderte sich über seine unsichere Wahrnehmung im Raum und verzögerte Reaktion auf Musik. Mit dem Urteil „Da stimmt was nicht!“ riet sie zur ärztlichen Untersuchung. „Nie würde ich das heute noch so sagen“, entschuldigt sie sich. Die Diagnose: stille Epilepsie, Hörschaden und Gendefekt.

Die Mutter bedankte sich bei ihr, sie habe ihm das Leben gerettet. Gerührt beschloss Flammiger, ihre Kurse für Kinder mit körperlichen und geistigen Einschränkungen zu öffnen. Sie machte Fortbildungen in Tanzpädagogik und Tanzmedizin. Die Mutter schickte ihr weitere Kinder. Mundpropaganda tat ihr Übriges.

„Ihr seid super! Je einfacher, je schöner kann man dann… Der erste Betrunkene“, kommentiert sie einen offensichtlichen Wiesnbesucher, der in Lederhose am Schaufenster vorbeiwankt. „Je schöner kann man dann die Füße strecken.“ Sie erklärt gerade geduldig die richtige Sprungtechnik.

Vor der Tanzschule steht ein pinkfarbener Elektro-Krankenfahrstuhl auf vier Rädern. „Den benütz‘ ich, damit ich arbeiten kann.“ Ein schwerer Verkehrsunfall vor zehn Jahren, unverschuldet. Vier OPs mit künstlichen Gelenken, das Ergebnis: ein Knie voll wiederhergestellt, das andere problematisch. An der Staatsoper musste sie aufhören.

Hocke, Sprünge, längere Strecken zu Fuß – alles nicht mehr möglich, Treppensteigen schwierig. „Ein Tänzer lebt mit seinen Schmerzen, weil ein Tänzer immer Schmerzen hat.“ Der ärztliche Rat, um weiter tanzen zu können: fahren statt gehen. Jammern gehört offenbar nicht zu ihrem Repertoire: „Zu 98 Prozent geht’s mir gut. Eigentlich bin ich kerngesund.“

Eine Frau, die anzündet. Kim's Kindertanz, Kim's Kindertanz, Bayerns einzige inklusive Ballettschule. Flammiger mit Enkel und Elektro-Krankenfahrstuhl.
„Den benütz‘ ich, damit ich arbeiten kann.“: Kim Flammiger mit Enkel auf ihrem Elektro-Krankenfahrstuhl. Foto: Kim Flammiger

 

Tanz gegen Krisen

Kim Flammiger lebt allein – mit ihren Katzen: alles „Sorgenkinder“, gequälte, teilweise chronisch kranke Tiere, die sie im Ausland vor dem sicheren Tod gerettet hat. Inklusion also auch bei Flammigers Haustieren.
Sie sieht sich als „eigenwillige, lustige, freiheitsliebende, kinderfreundliche Omi“. Das zweite Enkelkind sei schon unterwegs, freut sie sich.

Ihre Wünsche für die Zukunft? Mehr Mut zur Inklusion bei anderen Tanzschulen. Man müsse keine Angst vor „Sabbern“ oder Kindern mit Windeln haben. Oder dass der Ruf der Schule darunter leiden könnte.
Und für sich selbst? „Gesundheit, wenig Schmerzen, dass es weitergeht und besser wird.“ Vor allem die Anmeldungen: nach Kündigungen wegen Pandemie und Ukraine-Krieg nur noch 80 Kinder, statt 187 vor Corona. Tanzunterricht – „Luxus”, wenn die Lebenshaltung teuer wird. Ein staatlicher Coronakredit wird bald fällig und drückt ihr aufs Gemüt.

Die Bedeutung von Tanz für sie: „Leben, Kraft, Ausdauer – gut bei Krisen.” Flammiger scheint immer unter Strom zu stehen. Sie investiere 24 Stunden täglich in ihre Ballettschule. „Selbst und ständig.“ Ihre Tochter Aurora sieht hinter der Stärke, die ihre Mutter nach außen zeige, die heimliche Sorge, die alten Zeiten in Armut könnten zurückkehren.

Flammiger möchte noch lange arbeiten: „Aufhören werd’ ich nicht! Ich brauch‘ diese Kinder!“ Ihre Inspiration: eine Ballettlehrerin, die auch mit über 90 Jahren noch aktiv sei. „Die würd‘ ich schon gern einholen.“ „Ich lern‘ immer wieder dazu. Und dann kann ich wieder helfen. Und wieder ein Kind unterstützen.“ Ob sie das gerne macht? „Ja, total!“, strahlt sie über das ganze Gesicht.

 

Möchtest Du mehr über Kim’s Kindertanz erfahren? Oder eine Patenschaft für ein bedürftiges Ballettkind übernehmen und dessen Tanzunterricht finanzieren?
Hier die Kontaktdaten:
Kim’s Kindertanz
Kim Flammiger
Carlamaria-Heim-Straße 9
80339 München
Website
E-Mail

 

Titelfoto: Kim Flammiger mit einigen Schützlingen. © Erol Gurian, aus Fotoserie „Only When I Dance“

Georg Hiebl

Georg Hiebl

Georg Hiebl ist ein echtes Münchner Kindl und studierter Sozialwissenschaftler. Zuerst im Medienbereich tätig, hat es ihn durch Zufall für fast zwei Jahrzehnte in die Zahlungsdienstleistungsbranche verschlagen. Doch die Lust am Schreiben ließ ihn nie los. Nach seinem erfolgreich abgeschlossenen Journalismus-Fernstudium an der Freien Journalistenschule Berlin gehört er nun der "schreibenden Zunft" an. Seine thematische Bandbreite: Musik, Kultur, Essen, Gesundheit, NGOs, Nachhaltigkeit, Minimalismus und vieles mehr. Sein Augenmerk: gute Nachrichten und faire Berichterstattung.

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